Öffentlich / Privat
Oktober 1995 bis Juli 1996
Projekt mit Thomas Locher und Peter Zimmermann
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In seiner kürzlich publizierten Analyse der Entwicklungstendenzen in Europa, Asien und Amerika gelangt der bekannte MIT-Ökonom Lester C. Thurow zu dem Schluß, daß hinsichtlich des Verhältnisses von öffentlich und privat im Westen eine Rückkehr zu mittelalterlichen Verhältnissen drohe: »In unseren Gesellschaften verdrängt das Private zunehmend das Öffentliche, wie einst im finsteren Zeitalter.« 1) Wenn diese Einschätzung vielleicht als verkürzt oder als zu apokalyptisch erscheint, dann nicht deshalb, weil eine globale Tendenz nicht richtig erfaßt worden wäre, sondern weil die Dichotomie von öffentlich-privat ein Spektrum an Konnotationen aufweist, das in der Begrifflichkeit der liberalen Theorie der Öffentlichkeit nur partiell abgedeckt wird. In diesem Bezugsrahmen wird die Trennung von öffentlich und privat gewöhnlich homolog zu Oppositionen wie Staat vs. Gesellschaft, Politik vs. Ökonomie, Zwang vs. Freiheit oder Politisches vs. Soziales konzeptualisiert. Thurows Zugang identifiziert das Private zudem noch eng mit dem Ökonomischen und mit dem Eigentum. Seine Diagnose einer in der neueren Geschichte beispiellosen Ausdehnung des Privaten bezieht sich deshalb im wesentlichen auf das (mehr indirekt als direkt) durch die privaten elektronischen Massenmedien unterstützte Vordringen libertärer und marktradikaler Vorstellungen von sozialer Organisation. In einem weltweit stagnierenden Kapitalismus werden heute radikale Rhetoriken der Privatheit forciert, die auf den Abbau des Wohlfahrtsstaates bzw. auf die Apologie des Konsumismus zielen und bestimmte Bereiche und Themen über ihre Ökonomisierung und Technologisierung aus öffentlichen Diskursen auszuschließen versuchen.
Quer zu den liberalen Dichotomisierungen von öffentlich-privat und ihren Postulaten einer strikten Trennung dieser Sphären stehen die zum Teil bereits in der griechischen Philosophie, später aber vor allem in der Romantik (2. B. Rousseau, Hegel) betonten Differenzierungen von öffentlich-häuslich, öffentlich- persönlich, öffentlich-geheim oder öffentlich-intim. 2) Der jüngere Diskurs um das Öffentliche und das Private in diesem Bezugsrahmen drehte sich vor allem um die Implikationen der ältesten dieser Dichotomien, nämlich der scharfen Trennung von öffentlicher und häuslicher Sphäre und um die mit ihr gewöhnlich verbundene patriarchalische Interpretation, die Vorstellungen individueller Privatheit zugunsten der kollektiven Privatheit der Familie (»Familienautonomie«) suspendiert. Die Rhetorik der Privatheit läuft, wie Nancy Fraser dargelegt hat, in diesem Fall vor allem darauf hinaus, bestimmte Bereiche und Themen über Personalisierung und/oder Familiarisierung aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen, wie z. B. Fragen der geschlechtlichen Arbeitsteilung oder der intrafamilialen Dominanz, Kontrolle und Gewalt. 3) Legt man auch solche Differenzierungen von öffentlich-privat zugrunde, dann stellen sich angesichts der zu beobachtenden »Politisierung des Persönlichen« die globalen Entwicklungstendenzen nicht einfach als lineare Verdrängungen des Öffentlichen durch das Private dar, sondern als komplexere und widersprüchliche Prozesse, in deren Rahmen die Grenzen teilweise auch zugunsten des Öffentlichen verschoben werden.
1) Lester C. Thurow, The Future of Capitalism. How Today’s Economic Forces Shape Tomorrow’s World. New York 1996, S.246.
2) vgl. Will Kymlicka, Contemporary Political Philosophy. Oxford 1995, S.247ff.
3) vgl. Nancy Fraser, Rethinking the Public Sphere: A Contribution to the Critique of Actually Existing Democracy. In: Craig Calhoun (ed.), Habermas and the Public Sphere. Cambridge, Mass. / London I 992, S. 109- 143.
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»Öffentlich / Privat« ist das erste gemeinsame Ausstellungsprojekt von Thomas Locher und Peter Zimmermann (Köln). Es kam auf Einladung des Kunstraums der Universität Lüneburg zustande.
Das Projekt wurde an der Universität gemeinsam mit den Künstlern in interdisziplinären Seminaren zum Problemkreis des »Strukturwandels der Öffentlichkeit« vorbereitet. Visuelles Material aus Massenmedien / Kulturindustrie bzw. Textmaterial aus dem Diskurs verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen wurde arbeitsteilig gesammelt, analysiert und digital bearbeitet. Im Gegensatz zum überkommenen modernistischen Kunstverständnis versteht Howard Becker die Produktion von Kunst als eine Form von »kollektivem Handeln«. Der gesamte Verlauf der Produktion war in diesem Sinn durch eine enge Zusammenarbeit der Künstler mit Studierenden bzw. DozentInnen der Fächer Kunst, Soziologie und Informatik geprägt.
Ergebnisse der mehrmonatigen Kooperation werden nun in einer Ausstellung des Kunstraums vorgestellt. Dynamisches Bild-Textmaterial wird mit Hilfe digitaler Technologie in den Ausstellungsraum projiziert. Aspekte des theoretischen Diskurses, der in seiner ganzen ideologischen und analytischen Komplexität aufgegriffen wurde, sind auf Postern und Flyern verarbeitet, die auch im sog. »öffentlichen Raum« zirkulieren werden.
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Publikation: Beatrice von Bismarck, Thomas Locher, Diethelm Stoller, Ulf Wuggenig, Peter Zimmermann (Hg.): Öffentlich / Privat. Lüneburg: Kunstraum, 1998.
Gefördert durch die Niedersächsische Lottostiftung, Hannover