Die Teilung der Erde
Tableaux zu rechtlichen Synopsen der Berliner Afrika-Konferenz
April 2006 bis Ende 2008
Nach Jahren des Experimentierens mit heutigen Möglichkeiten der schwer vorbelasteten künstlerischen Gattung des Historienbildes und der politischen Traditionslinien moderner Malerei hat sich Dierk Schmidt zuletzt mit der Rolle des Deutschen Reichs in der Geschichte des Kolonialismus beschäftigt. Die deutsche Involvierung in den Kolonialismus und die Massenmorde an der Bevölkerung des damaligen Südwestafrikas verschwand oft hinter den unvergleichlichen Verbrechen, die in späterer Zeit durch deutsche Vernichtungspolitik angerichtet wurden. Dieses Thema ist zurzeit virulent, denn es finden in den europäischen ethnologischen und historischen Museen zahlreiche Reformatierungen der Kolonialismus-Abteilungen statt. Darüber hinaus führen verschiedene Fraktionen in den politischen Geschichtswissenschaften auch öffentlich eine Auseinandersetzung um die Behandlungsweise diese Kolonialgeschichte. Diese bewegt sich zwischen der Gefahr, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, eine Relativierung des Holocaust auf der einen Seite zu betreiben, wie sie bereits einmal zu dem berüchtigten “Historikerstreit” in den achtziger Jahren führte, eine Verweigerung der Anerkennung kolonialer Verbrechen als Genozid stünde auf der anderen Seite.
Dierk Schmidt ist an den bildnerischen und diskursiven Möglichkeiten interessiert, jenseits platter Abbildlichkeit und Symbolisierung eine Metasprache herauszubilden. Diese sollte man sich allerdings nicht als eine bestimmte “Methode” vorstellen, sondern als ein stets sich erweiterndes bild- und sprachkritisches Instrumentarium, das ein Thema behandelt, darüber aber auch sich selbst als zu problematisierendes Verfahren zum Thema macht. Dabei kommen die dialektischen Untiefen, die sich im Verlauf der europäischen und außereuropäischen Modernen aufgetan haben, als Auseinandersetzung mit moderner Abstraktion auch ästhetisch voll zum Tragen. Greifbar wird so eine vielleicht spezifisch modernistische Verstrickung aufklärerischer Ästhetiken, wie sie Abstraktion wie Historienmalerei für sich beanspruchten, in eine Logik der bildpolitischen Gewalt.
Die neue Ausstellung zeigt im engen Zusammenhang mit einem Seminar, das Schmidt seit 2006 mit Studierenden im Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg veranstaltet, den aktuellen Zwischenstand der Recherchen. Er setzt an bei der Afrika-Konferenz, die 1884/85 in Berlin stattfand. Dort einigten sich die vierzehn Teilnehmerstaaten auf den so genannten “Acte Général”, in dessen Paragrafen der neutrale Status des Kongobeckens festgelegt und Handels- und Schifffahrtsfreiheiten auf dem Kongo und seinen Seitenarmen verfügt wurden. Zwar kam es im gleichen Zug zum Verbot des kontinentalen Sklavenhandels, doch entfaltete sich danach auch ein Kampf um politische und ökonomische Einflusssphären, bei dem es Bismarck gelang, dem Deutschen Reich eine gleich berechtigte Rolle unter den damaligen Kolonialstaaten zu sichern. Die Konferenz gab entscheidende Impulse für eine Kolonisierung, die sich bis 1902 auf 90% des afrikanischen Kontinents ausdehnte.
In der Presse gab es damals zwar Illustrationen dieser Ereignisse, doch ist es nach wie vor kaum möglich, sich eine angemessene Vorstellung von den Details des historischen Kolonisierungsprozesses zu machen. An dieser Stelle setzt Dierk Schmidts kritisches Konzept des Historienbilds an, um politisch-historisches Potential und aktuelle völkerrechtliche Implikationen zu prüfen und zu vermitteln. In der Serie “Die Teilung der Erde”, die nach einer ersten Phase im Salzburger Kunstverein 2005 auf der diesjährigen Documenta zu sehen war, nähert sich Schmidt dem historischen Komplex mit der Entwicklung von Bildsemiotiken, die ihre Quellen sowohl in den Traditionen der schematisch-statistischen und kartografischen Darstellung wie auch der (abstrakten) Malerei der Moderne haben.
Damit – und mit der konflikthaften Begegnung künstlerischer und juridischer Sprachformen – artikuliert er auch eine grundlegende Nichtversöhnbarkeit. Denn bei seinem Ansatz kann es nicht um die Auflösung, sondern vor allem um die Darstellung eines historischen Problems der Nichtdarstellbarkeit gehen. Erst daran kann sich dieser zunächst “nur” ästhetische Zugang auch als Brücke zu heutigen postkolonialen Debatten um Entschädigungszahlungen erweisen. So treten sich nicht nur Abstraktion in der Malerei und die Abstraktionen des Völkerrechts gegenüber, zugleich wird auch die Frage unausweichlich, welche mindestens symbolischen Formen einer “Umkehrung” der sozialen und ökonomischen Effekte einer im internationalen Zusammenhang zu betrachtenden Kolonialzeit überhaupt möglich sind.